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Vereinfacht gesagt geht es um die Frage, ob Personen, nach denen Gifhorner Straßen benannt sind, hinsichtlich des Nationalsozialismus eine unrühmliche Vergangenheit haben und ob diese Straßen gegebenenfalls umbenannt werden sollten. Im dritten Teil der hallo-Serie zum „Projekt Straßennamen“ wird deutlich: Diese Frage zu beantworten, ist viel komplexer als gedacht. Recherche einfach, Bewertung schwierig.

 

Schnell wurde den Schülern des Humboldt-Gymnasiums, des Otto-Hahn-Gymnasiums und der Bonhoeffer-Realschule klar: Es gibt verschiedene Kategorien personenbezogener Namen. So sind den historisch interessierten Bürgern Namen wie Benz, Porsche oder auch Hindenburg auch ohne das von der Stadt Gifhorn initiierte Schulprojekt geläufig. Die Recherche nach den Lebensläufen ist in Zeiten von Wikipedia und Co. kein Problem – wohl aber die moralische Bewertung. „Ferdinand Porsche hat von Zwangsarbeitern profitiert und wusste beispielsweise von Kinderheimen, in denen die Kinder von Zwangsarbeitern oft nur wenige Monate alt wurden“, erklärt die angehende Abiturientin Charlotte Heine vom HG. Bei der moralischen Bewertung ist die Arbeitsgruppe, die sich mit Porsche auseinander setzte, aber zurückhaltend. Porsche habe sich stets in zivil gezeigt, obwohl er (recht spät) zum SS-Oberführer ernannt wurde. Und so zynisch es klingen mag: Viele der Zwangsarbeiter, die Porsche von der NSDAP anforderte, wären ansonsten nach Auschwitz deportiert und höchstwahrscheinlich getötet worden. „Gerade bei Porsche ist es zwiespältig“, sagt Luca Kolschmann aus derselben Arbeitsgruppe. Genau umgekehrt ist es bei Ingeborg Kressmann, den meisten bekannt als „Tante Inge“, die im Januar dieses Jahres verstarb und jetzt bereits Pate für eine Gifhorner Straße steht. Die Kindergärtnerin der ersten Stunde hatte die Zeit des Nationalsozialismus miterlebt, steht für die Gifhorner aber über jedem Verdacht. Die moralische Bewertung ist hier denkbar einfach, die Recherche hingegen nicht. Besonders bei Personen aus Gifhorn, die keine überregionale Rolle spielten, ist es für die Schüler schieriger als erwartet, an Informationen zu kommen. Das Stadtarchiv zum Beispiel enthält keine Unterlagen zu Namensgebungen in den Ortsteilen. Diese werden in den Ortsräten beschlossen – Begründung der Entscheidungen: meist Fehlanzeige. Geschichtslehrer Pesi Daver, der die HG-Projektgruppe leitet, merkt an: „Manchmal scheint es, als habe man einen ehemaligen Bürgermeister herausgesucht und die Straßenbenennung nur durchgewunken.“ Dies sei nicht als Generalkritik zu verstehen: Andere Gemeinden verwenden ausschließlich unverfängliche Namen wie „Wiesenweg“ oder „Waldstraße“. So gehe man zwar auf Nummer sicher, eine echte Bedeutung haben diese Namen aber nicht. War er’s oderwar er’s nicht? In Kästorf gibt es eine Heinrich-Müller Straße. Bei diesem Allerweltsnamen ist es kaum verwunderlich, dass Wikipedia gleich Dutzende von prominenten Heinrich Müllers auflistet – unter ihnen auch ein hoher SS-Offizier. Nach dem ist die Kästorfer Straße aber nicht benannt, sondern nach einem Landwirt und Kästorfer Ortsbürgermeister. Das fand Justus Blum durch eine völlig analoge Art der Recherche heraus: „Ich bin hingefahren und habe auf den Hinweis unter dem Straßenschild geschaut.“ Außerdem habe sein Großvater ihm eine „Gemeindefibel“ gezeigt, einen geschichtlichen Abriss über 200 Jahre Kästorf. Daraus geht hervor, dass Heinrich Müller im Jahr 1932 seinen Bauernhof übernahm: „Ich kann mir denken, dass er zu viel Arbeit hatte, um sich mit der Politik der Nazis zu beschäftigen“, vermutet der HG-Schüler. Manche Namen sind Volltreffer Wie Bürgermeister Matthias Nerlich beim Start des Projekts im Oktober 2014 betonte, will die Stadt offensiv mit dem Thema Straßennamen und Nationalsozialismus umgehen und nicht erst reagieren, wenn die Wahrheit offenkundig ist – wie im Fall der Dr. Gotthard-Rattay-Straße, die jetzt Elisabeth-Liedy-Straße heißt (hallo berichtete mehrfach). Ein Volltreffer dürfte die Gerhard-Fieseler-Straße sein: Der Besitzer einer Flugzeugfirma wurde von der NSDAP teilfinanziert und mit Zwangsarbeitern versorgt. Auch wenn Fieseler nach dem Zweiten Weltkrieg beteuerte, nie Nazi gewesen zu sein und nur gezwungen worden sei, sprechen enge Kontakte zur „Reichs“-Elite gegen ihn, ebenso wie die Tatsache, dass seine Flugzeuge im Krieg eingesetzt wurden. Allerdings sei hier betont: Nicht die Schüler treffen die Entscheidung über eventuelle Umbenennungen, sondern der Stadt- oder Ortsrat. Differenziertes Denken statt Nazi-Keule Dass die Schüler nicht undifferenziert auf Nazi-Jagd sind, zeigt das Beispiel der Moltkestraße. Zwar steht Helmuth Karl Bernhardt von Moltke nicht in Verdacht, ein Hitler-Fan gewesen zu sein, denn er starb bereits 1891. Aber er war ein lupenreiner Militärmensch. Mit elf Jahren begann er seine Laufbahn, wurde Feldmarschall und galt als großer Stratege für Massenheere. Obwohl Moltke ein Mensch war, der gewissermaßen für den Krieg lebte, denkt Charlotte Heine, dass er den Straßennamen durchaus verdient habe: „Im Jahr 1890 warnte Moltke vor einem bevorstehenden Krieg, der als Erster Weltkrieg viel später auch kam.“ Beeindruckt sei ihre Arbeitsgruppe von dem Zitat: „Wehe dem, der die Lunte ins Pulverfass schleudert.“

FOTO: Unter Leitung von HG-Lehrer Pesi Daver haben die Schüler eine Menge herausgefunden.