Silvia Gruß, die 2004 das Abitur an der Europaschule Humboldt-Gymnasium machte, ist seit einigen Wochen wieder bei uns. Sie macht zur Zeit ein Praktikum, welches sie im Rahmen ihres Studiums der Wirtschaftpädagogik an der Humboldt-Universität in Berlin benötigt. Bevor sie in Berlin anfing, studierte sie ein Jahr lang Soziologie, BWL und Pädagogik in Göttingen. Diesen Studiengang gab sie aber auf, da ihre Erwartungen vom Studiengang nicht erfüllt wurden.
HP - Silvia, was ist Wirtschaftspädagogik?
Silvia - Wirtschaftspädagogik studiert man, wenn man später mal an einer Berufsschule, in der Erwachsenenbildung, im Personalmanagement oder in der Entwicklungshilfe arbeiten will. Entwicklungshilfe ist auch das, was mich am meisten interessiert.
Der Großteil des Studiums, ungefähr 70%, ist Wirtschaftswissenschaft, der Rest ist Pädagogik, Jura und Psychologie.
HP - Was machst Du hier?
Silvia - Laut Studienordnung muss ich ein Hospitationspraktikum absolvieren, wobei 4 Wochen bzw. 50 Zeitstunden Anwesenheit am Praktikumsort gefordert werden.
HP - Und, was machst Du hier?
Silvia - Ich besuche den Unterricht in den Fächern Mathematik und Deutsch in fast allen Klassenstufen, wobei ich bei verschiedenen Lehrern bzw. Lehrerinnen mitgehe.
Die Hausarbeit, die sich aus dem Praktikum ergeben soll, wollte ich eigentlich über das Sozialverhalten von Jungen und Mädchen schreiben, also einen Vergleich der Sozialverhalten bei beiden Geschlechtern und in verschiedenen Altersstufen. Es hat sich aber ergeben, dass das Material, welches ich hier erhalte, nicht wirklich für eine solche Studie reicht. Das liegt nicht daran, dass ich hier kein Sozialverhalten beobachten könnte, sondern daran, dass ich wohl anders an das Thema hätte herangehen sollen.
HP - Es geht also nicht so sehr um das Unterrichten, um das Einfühlen in den Beruf des Lehrers?
Silvia - Das ist richtig, denn eigentlich will ich ja gerne mal dabei mithelfen, in Südamerika ein gut funktionierendes Schulsystem aufzubauen.
HP - Da könntest Du ja in Deutschland anfangen.
Silvia - Vermutlich. Ich muss aber noch sagen, dass der ursprüngliche Plan, also das Sozialverhalten zu beobachten, einem Bericht über Schulorganisation gewichen ist.
HP - Warum musstest Du - und ich habe Dich ja dabei gesehen - Diktate korrigieren?
Silvia - Aus reinem Interesse. Ich will ja auch sehen, was die Arbeit als Lehrer bedeutet. Außerdem hat es mich interessiert, wie gut die Schüler in der sechsten Klasse sind. Alle Beobachtungen sind aber auch Grundlage für meine Hausarbeit, und beim Korrigieren kann ich z.B. sehen, wie lange so etwas dauert, was natürlich auch mit Organisation zu tun hat.
HP - Als ich Dich gesehen habe, dachte ich "The Return of the Native." Wie geht es Dir als Ehemalige an der Schule?
Silvia - Sehr gut, ich habe einen wirklich positiven Eindruck. Als Schülerin war ich, das kann ich wohl so sagen, sehr engagiert und interessiert, und irgendwie überträgt sich das auf die Situation jetzt. Alle sind so hilfsbereit, geben mir Material, unterstützen mich. Naja, vielleicht wäre das auch so gewesen, wenn ich als Schülerin anders gewesen wäre, aber das ist halt mein Eindruck.
HP - Ich muss aber noch einmal fragen, was ist denn jetzt anders? Vorher, als Schülerin, warst Du doch sehr zufrieden in Deinem Mikrokosmos. Wie ist es denn jetzt?
Silvia - Es ist alles ganz anders, als man sich das als Schüler so vorstellt. Wenn man so im Lehrerzimmer sitzt, mit Kollegen spricht und beobachtet, was alles passiert, dann kann man sehen, dass manche Kollegen gute Freunde sind und andere nichts miteinander zu tun haben. So eine persönliche Seite kann ein Schüler wirklich nicht bekommen. Ich sehe auch Probleme, die früher für mich nie zu erahnen waren: Probleme der Organisation des Unterrichts, von Fahrten, von Stundenplänen, spontan zu haltenden Vertretungsstunden. Das ist ja alles ganz normal, aber als Schüler bekommt man sowas nicht mit.
HP - Gibt es noch etwas, das Du zum Schluss sagen willst?
Silvia - Ich bin froh darüber, mein Praktikum hier gemacht zu haben, denn hier habe ich Freiheiten, die ich vermutlich an einer anderen Schule nicht gehabt hätte. Außerdem sehe ich den Lehrerberuf jetzt doch mit ein wenig anderen Augen. Ich meine, meine Mutter ist auch Lehrerin, von daher weiß ich schon etwas darüber. Durch das Praktikum ist mir die Option des Lehrer Werdens doch ein wenig näher gerückt. Aber nur, wenn das mit dem Friedensnobelpreis nichts wird.
HP - Danke für das Gespräch. ... und alles Gute für die Sache mit den Friedensnobelpreis.