Am 12. März 2007 hieß es für mich erst einmal Abschied nehmen von meiner Familie und Freunden, denn danach flog ich nach Japan in mein Austauschjahr. Natürlich war ich aufgeregt, was die Zukunft bringen würde, aber ich war ja nicht allein. Gemeinsam mit 30 anderen deutschen Schülern von der Austauschorganisation YFU sind wir 13 Std. nach Tokyo geflogen. Von dort aus ging es für jeden dann weiter zu seiner Gastfamilie.
Ich musste bis nach Osaka (riesige Stadt am Meer, ca. 300 km westlich von Tokyo) fliegen. Vom Flughafen hat mich meine fünfköpfige Gastfamilie abgeholt. In Japan kann man in der Regel immer von Großfamilien sprechen, denn alle Generationen vom Baby bis zur Oma leben unter einem Dach. Meine Gastfamilie bestand aus Mama, Papa, Oma und 2 Gastschwestern (27 und 30 Jahre alt). Ich hatte eine wirklich nette Gastfamilie! (Weswegen ich wohl auch keinen echten Kulturschock hatte). Da sie davor schon mal Austauschüler aus Europa hatten, konnten sie mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Das fing beim Essen an: Auch hier in Deutschland hat jeder schon mal von der japanischen Kost zu Hören bekommen (von Algen über Oktopus bis zum giftigen Kugelfisch, eben alles, was man aus dem Meer kriegen kann und viel, viel Reis). Meine Gastmama hat mich davon anfangs verschont. Wir steigerten uns langsam bis ich dann nach 2 Monaten "abgehärtet" war. Meine Gastmama und meine große Gastschwester waren beide Klavierlehrerinen. Die Schüler aus der Region kamen zu uns nach Hause zum Unterricht. Mein Gastvater war bei Toyota. Er arbeitete extrem viel (wie alle Japaner). Er arbeitete auch samstags und verließ um 7.00 Uhr das Haus und kam abends um 21.00 Uhr wieder zurück. (Das er so spät zurückkommt, liegt daran, dass in einer 9 Millionenstadt wie Osaka die Verkehrseinrichtungen überfüllt sind. Mein Gastvater brauchte 1.30 Std. bis zur Arbeit!)
Nun möchte ich auch noch ein wenig von meiner Schule berichten:
Das japanische Schuljahr beginnt im März und es gibt nur 3 Mal im Jahr Ferien. Mein einstündiger Schulweg bestand aus Fahrrad, Zug und Fußmarsch. Es ist üblich, für die Schulen Einstellungstest zu machen, damit man auch auf die Schule kommt, wo das eigene Leistungsniveau vertreten ist. Ich ging zur "klügsten" Schule in meiner Region. (Aber mit meiner Leistung hatte das recht wenig zu tun, ich wurde einfach nur zur nächsten Schule, die Austauschschüler annimmt, geschickt). An den Schulen ist das Fächerangebot nicht sehr vielfältig. Die Japaner spezialisieren sich extrem auf Naturwissenschaften, Mathe und Englisch (jedes Fach 5 Unterrichtsstunden pro Woche!). Von Gesellschaftsfächern halten sie eher wenig. Was ich toll fand, ist, dass die Schulen Freizeitaktivitäten anbieten. Meistens handelt es sich da um Fuß-, Base-, Volley-, Basketball und eine Schulband. Manchmal gibt es auch die traditionellen japanischen Sportarten wie Bogenschießen, Kendo (Fechten, eben nur mit Bambusschwertern) und Judo (Karate ist in Japan nicht so populär). Ich ging in die Schulband und habe da getrommelt.
Mir wird wohl mein erster Schultag ewig in Erinnerung bleiben. Ich bin morgens von Zuhause losgegangen, mit dem Kopf voller Sorgen, ob ich den Weg zur Schule finden werde, wie die Schulkameraden sein werden,... Ich habe mich auf meinem Schulweg zum Glück nicht verlaufen und bin dann gut angekommen. Als ich die Schule betrat und durch die Korridore gegangen bin, wurde ich gleich von vielen Schülern begrüßt (sie wussten sogar alle meinen Namen und konnten den sogar richtig aussprechen!!!). Trotz der Sprachbarriere sind alle immer auf mich zugekommen, haben mich angesprochen und haben mir die Schule gezeigt, sodass ich nie allein und rundum versorgt war.
Diese Gastfreundschaft ist mir nicht nur in der Schule aufgefallen, sondern es ist eine sehr angenehme Mentalität der Japaner, sie sind sehr um das Wohlbefinden der Gäste bemüht . Viele, die ich gar nicht kannte, haben mich jeden Tag gegrüßt, beim Einkaufen bekam ich manchmal Rabatte und wenn ich bei jemandem zu Besuch war, ging ich danach beladen mit Geschenken wieder nach Hause.
Viele von Euch interessiert es sicher noch, wie ich das mit der Verständigung hinbekommen habe. Die vielen Schriftzeichen sind für uns Europäer erst mal ein Schock ... Aber wenn man erst einmal in dem Land lebt, die Sprache jeden Tag hört und sprechen muss, dann lernt es sich fast von alleine. Zuhause habe ich Übungen von meiner Austauschorganisation bekommen, ich war überall mit einem Wörterbuch bewaffnet, habe Sprachunterricht in der Schule genommen und ansonsten haben mir die Japaner immer geduldig zugehört und mich gegebenenfalls verbessert.
Was sonst noch von Japan in Erinnerung geblieben ist, außer dieser Freundlichkeit Ausländern gegenüber ist ihr Fleiß und Ehrgeiz. Je nachdem, wie stark die eigenen Eltern sich für die Bildung ihres Kindes eingesetzt haben, geht es mit dem Schreiben und Rechnen schon im Kindergarten los. Schule ging von 8.00- 15.00 Uhr, danach kommen die Freizeitaktivitäten und 20.00-22.00 Uhr beginnen die Volkshochschulen, wo die Schüler das "vorlernen," was sie später studieren wollen. Wenn man die Hausaufgaben noch dazu bedenkt, bleibt am Ende nicht viel Zeit zum Schlafen.
In meinem Austauschjahr gab es nicht nur Schule:
Z.B. habe ich mit einem Onkel meiner Gastfamilie Reis gepflanzt und geerntet. Eine japanische Hochzeit konnte ich miterleben und ich habe versucht meiner Gastfamilie im Haushalt (Geschirr spülen, Gartenarbeiten) zu helfen. Außerdem gab es eine Klassenfahrt nach Hokkaido (eine Insel im Norden Japans). Auch konnte ich traditionelle Feste miterleben. Im Oktober haben alle Männer unseres Stadtteiles anlässlich eines Erntedankfestes (buddhistisch) einen Altar um den Tempel der Stadt getragen. Christliche Feste wie Ostern oder Weihnachten gibt es eher weniger, wobei Letzteres wegen der Beliebtheit bei den Kindern sich auch in Japan ansiedeln konnte.
Zum Schluss möchte ich noch mal auf meine Gastfamilie zurückkommen. In Japan ist es traditionellerweise so, dass die Hochzeiten von den Eltern arrangiert werden! Meine große Gastschwester sollte eigentlich mit einem reichen und gebildeten Mann verheiratet werden ... Sie hatte aber schon heimlich einen Freund. Als die Geschichte im Sommer aufflog, gab es zu Hause viel Ärger und Stress. Schließlich und endlich haben sich die Eltern doch von ihrer Tradition lösen können und der Heirat meiner Gastschwester zugestimmt. Und nun habe ich eine Einladung zu einer japanischen Hochzeit auf meinem Schreibtisch liegen...
Konstantin Etzold (April 2008)