Physik-Nobelpreisträger Theodor Wolfgang Hänsch geht in einem Jahr in Pension, denkt aber gar nicht daran, kürzer zu treten
Leser fragen Th. W. Hänsch
Wilhelm Eßmann (56): Fachsprecher Physik am Humboldt-Gymnasium Gifhorn
Konstantin Etzold (19): Schüler im Physik-Leistungskurs am Humboldt-Gymnasium
Klaus Bungenstock (69): Uhrmachermeister aus Braunschweig
Der Physik-Nobelpreisträger gilt als Pionier der experimentellen Laserphysik. Der 67-Jährige ist Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in München und lehrte 16 Jahre lang in Stanford, Kalifornien. Hänsch stellte sich den Fragen unserer Leser am Rande seines Vortrages an der TU Braunschweig zum Thema „Leidenschaft für Präzision“.
Wilhelm Eßmann: Sie haben einen Vortrag an der TU Braunschweig zum Thema "Leidenschaft für Präzision" gehalten. Was ist wichtiger in der Physik, die Leidenschaft oder die Präzision?
Die Leidenschaft ist wichtiger. Überall, wo man Hochleistung sieht, ist Leidenschaft im Spiel. Es gibt immer wieder Modethemen in der Physik, das ist derzeit beispielsweise die Nano-Wissenschaft. Die Präzisionsmessungen sind nicht so gefragt. Als kleine Gegenbewegung habe ich dieses Vortragsthema gewählt, weil es immer noch reizvoll ist.
Klaus Bungenstock: Mich interessiert als Uhrmacher besonders, wie genau eine Uhr sein kann.
Ich habe mich mit dem Chef der Firma Swatch unterhalten. Er sagte mir, dass die Kunden gar keine noch genaueren Uhren wollen. Sie wollen viel lieber mechanische Uhren mit Zahnrädern. Der normale Verbraucher benötigt auch keine noch genaueren Uhren. Mit Mobiltelefonen telefonieren viele Leute gleichzeitig. Da braucht man, um die Signale richtig zu sortieren, Atomuhren. Wir forschen an Atomuhren, die noch hunderttausend Mal genauer sind als die besten Uhren, die man heute in der Wissenschaft einsetzt.
Konstantin Etzold: Wie sieht die tägliche Arbeit eines Forschers aus, wartet man zu Hause auf den Geistesblitz, oder arbeitet man im Labor?
Es gibt unterschiedliche Typen von Forschern. Es gibt Theoretiker, die sitzen zu Hause oder in der Bibliothek. Dann gibt es die Experimental-Physiker, die mit teuren Apparaten arbeiten. Schließlich gibt es Erfindertypen, die Tüftler. Eines haben aber alle gemeinsam: Sie schreiben nur die guten Ergebnisse auf und verschweigen, dass 90 Prozent der Ergebnisse am Ende vielleicht für die Mülltonne sind.
Wilhelm Eßmann: Wenn einiges in den Abfall wandert, hat das doch sicherlich auch Konsequenzen für die Finanzierung der Forschungsarbeit.
Wenn wir international konkurrenzfähig sein wollen, müssen wir auf ähnlichem Stand sein wie die Konkurrenz. An den deutschen Hochschulen gibt es einen großen Nachholbedarf – nicht nur an der Infrastruktur und der Zahl der Professorenstellen, auch in der Findung der Forschungs-Themen. In Israel oder selbst in Saudi-Arabien gibt es teilweise bessere Forschungsbedingungen, da müssen wir uns in Zukunft anstrengen.
In Deutschland haben wir relativ wenig Möglichkeiten, um an Gelder für die Forschung zu kommen. Da ist im wesentlichen an den Universitäten der Weg über die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine wichtige Geldquelle. In Amerika gibt es die sogenannte National Science Foundation, das Gegenstück zur Forschungsgemeinschaft, aber auch Geld aus vielen anderen Quellen. In Deutschland quälen sich viele Forscher, die oft gar nicht verstehen, warum ihr Antrag abgelehnt worden ist. Ich möchte ein Beispiel nennen: In der Schweiz wurden im vergangenen Jahr etwa 70 Prozent der Gesuche von Forschern bewilligt. In Deutschland waren dies nur etwa 20 Prozent. Das heißt, das in Deutschland ständig Gesuche abgelehnt werden. Nicht, weil sie nicht gut sind, sondern weil das Geld fehlt.
Klaus Bungenstock: An den Forschungs-Ergebnissen müsste doch die Industrie interessiert sein.
Das hängt sehr davon ab. Die ersten fünf oder zehn Jahre einer neuen Forschungsreihe sind für die Industrie meistens nicht gerade interessant.
Konstantin Etzold: Verschlechtert sich diese finanzielle Situation der Forscher an den Universitäten noch durch die Wirtschaftskrise?
Bisher spüren wir das noch nicht, eher im Gegenteil. Durch Konjunkturprogramme, auch in den USA, versuchen die Staaten der Krise entgegenzuwirken. Falls aber dauerhaft die Steuereinnahmen wegbrechen, wird das mit Sicherheit auch die Forschung zu spüren bekommen.
Konstantin Etzold: Ich hatte die Gelegenheit, ein Jahr in Osaka in Japan an einer Schule zu verbringen. Dort verlief alles sehr diszipliniert, während wir hier in Europa bei Problemstellungen auch kreativ sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihre Forschungsgruppen international besetzt sind. Bemerken Sie in Ihrer Arbeit diese kulturellen Unterschiede?
Oh ja, und wir haben tatsächlich auch Japaner in unseren Forschungsgruppen. Natürlich gibt es da Unterschiede. In Japan herrschte gerade in der Vergangenheit kultureller Druck, konform zu sein. Wir haben einen japanischen Doktoranden, der seine Arbeit ganz prima macht und sehr froh ist, bei uns zu sein. Bei uns darf er sich entfalten. Falls er eines Tages zurück nach Japan geht, wird er vielleicht dazu beitragen, dass sich dort das Arbeitsklima in der Wissenschaft ändert.
Wilhelm Eßmann: Über Ihren Nobelpreis haben wir uns gefreut. Wie ist das mit dem Preisgeld, erhält das gesamte Team das Geld, haben Sie es bekommen, oder hat das am Ende Ihr Institut erhalten?
In meinem Fall war es nicht so sehr viel Preisgeld, es war nur ein Viertel der eigentlichen Summe. Die Hälfte ging an den Amerikaner Roy Glauber. Die andere Hälfte ging an John Hall und mich.
Wilhelm Eßmann: Ihrem Team haben Sie dann etwas ausgegeben?
Natürlich, aber leider ist das Geld nicht von einer Größenordnung, dass man als Experimental-Physiker damit lange forschen kann.
Wilhelm Eßmann: Sie hatten vorhin die Industrie angesprochen. Nun ist Ihr Nobelpreis schon vier Jahre her. Schlagen sich Ihre Ergebnisse bereits in der Industrie nieder?
Tatsächlich habe ich schon 2001 eine kleine Firma gegründet, um diese Frequenzkamm-Technik zu kommerzialisieren. Leider ist damals die Internet-Blase auf den Finanzmärkten geplatzt. Wir mussten erkennen, dass es damals für Frequenzkamm-Generatoren keinen Markt gab. Inzwischen hat die Firma aber fast 50 Mitarbeiter im Süden von München und vertreibt weltweit Laserprodukte. Wir haben inzwischen Wartelisten, kommen mit der Produktion gar nicht mehr nach, weil man immer mehr Anwendungen für diese Laser-Frequenzkamm-Generatoren findet.
Klaus Bungenstock: Ist Ihnen die Wissenschaft schon in die Wiege gelegt worden?
Meine Eltern hatten mit Naturwissenschaften nichts am Hut. Mein Vater war Kaufmann, meine Mutter war Hausfrau. In der ganzen Familie war ich der einzige, der aus der Art geschlagen ist.
Klaus Bungenstock: Bleibt bei so viel Tätigkeit für die Wissenschaft auch noch Zeit für andere Dinge?
Für mich ist die Wissenschaft mein Hobby.
Wilhelm Eßmann: Ich habe gelesen, dass Sie sich darüber aufregen, dass Wissenschaftler zu früh in die Pension geschickt werden.
Das stimmt, hier in Deutschland müssen kreative Köpfe viel zu früh in Pension gehen. Nach dem Beamtenrecht ist mit 68 Jahren absolut Schluss. Ich muss im nächsten Jahr in Pension gehen und verdanke es privaten Stiftungen, dass ich trotzdem weitermachen kann. Es ist ein Privileg, sich die Dinge selbst aussuchen zu können, an denen man forscht – anders als in der Industrie. Ich kenne wundervolle junge Forscher, mit denen ich noch vielen Fragen nachgehen möchte.
Konstantin Etzold: Wie sah das bei Ihnen in der Schule aus? Lagen Ihnen auch Sprachen?
Ich hatte bewusst beschlossen: Ich will nie ein Streber sein. Meine Lieblingsgfächer waren Mathe, Physik, Chemie, zum Teil auch Biologie. In anderen Fächern habe ich die Lehrer zur Verzweiflung gebracht. Mein Englisch war zum Beispiel nicht so gut.
Wilhelm Eßmann: Eine letzte Frage zum Thema Präzision. Kommen Sie eigentlich auch mal zu spät?
Ich bin kein präziser Mensch, komme schon mal zu spät. Deshalb fühle ich mich in Italien so wohl, gefällt mir die lockere Lebensart dort gut.
Quelle: Newsclick.de
Foto: Rudolf Flentje