30 Jahre Mauerfall – für Schüler des Gifhorner Humboldt-Gymnasiums waren das damals ganz besondere Tage. So besonders, dass Bürgermeister Matthias Nerlich jüngst beim Festakt der Schule an den Moment erinnerte, als der damalige Rektor Anton Pumpe den Unterricht mit einer Durchsage unterbrach und die Schüler animierte, nach Zicherie zu fahren. An den Moment der Durchsage kann sich Pumpe heute nicht genau erinnern, aber daran, dass jene Tage in seiner Lehrer-Laufbahn „unvergleichlich“ waren. {multithumb}
Vorzeichen bei Polen-Reise erlebt
Was hatte all die Jahre das Thema Kalter Krieg seinen Geschichtsunterricht geprägt. Alleine schon in Gifhorn nahe der Grenzen zu leben, „wo Salzwedel oder Gardelegen damals so weit weg erschienen wie Wladiwostok“, erschien ihm fast schon gespenstisch. Klassenfahrten ins geteilte Berlin, ja die gab es in den 70-er und 80-er Jahren immer wieder. „Die Idee war, den Schülern, diese merkwürdige Situation zwischen Ost und West klar zu machen“, so Pumpe. Diesen Ansatz hatte auch der Landkreis, als er für Schüler einen Schreibwettbewerb ausrief, in dem es um den Flatow-Partnerschaftskreis (heutiges Polen) gehen sollte. Die Schüler stellten eine Bedingung: Wenn sie teilnehmen, dann wollten sie auch einmal nach Polen fahren. Jahre später erinnerten ihn Schüler an diese Zusage. Pumpe machte sein Versprechen wahr: Just im Sommer 1989 fuhr er mit HG-Schülern nach Polen. So geriet die Gruppe in die Vorboten der großen Umwälzung. Denn aus einem Quartier mussten die Gifhorner weichen, weil US-Präsident George Bush mit großem Stab angereist war, um im brodelnden Osteuropa zu vermitteln. Welch große historische Stunde sich da anbahnte, ahnte er noch nicht.
Plötzlich waren die Gifhorner Schüler mittendrin
Kurze Zeit später geriet der zwölfte Jahrgang des HG mitten in die Kehrtwende der jüngeren deutschen Geschichte. Anfang November war nämlich erneut Berlin das Ziel einer HG-Jahrgangsfahrt. „Wie ein Donnerschlag“ sei der 9. November hautnah erlebbar gewesen. Die HG-Schüler hätten auf der Mauer getanzt, ein Schüler sei sogar herunter gestürzt. Wie sehr Deutschland im Ausnahmezustand war, erlebte die HG-Gruppe bei der Rückfahrt. Die mit Trabbis und Wartburgs verstopfte Autobahn sorgte für eine ellenlange Rückfahrt.
Spontane Ausstellung
Daheim in Gifhorn herrschte am Abend nach der ungeplanten Verkündung der Grenzöffnung im Fernsehen auch Ausnahmezustand. Als der heute 85-jährige Pumpe morgens ins HG kam, „war alles außer Rand und Band“. An die Euphorie an jenem Schultag nach dem Mauerfall erinnert sich Wolfgang Rohdenburg noch lebhaft. Damals betreute er gerade ein Zeitungsprojekt zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen. Spontan sammelten er und die Schüler alle Artikel zu dem Thema. Sortiert wurde das Ganze bei Rohdenburg zu Hause auf dem Wohnzimmerboden. „Daraus haben wir dann spontan eine Ausstellung in der HG-Pausenhalle gemacht“, erinnert er sich.
Foto: Wolfgang Schwenke / Repro: Sebastian Preuß
23.09.2019 / Braunschweiger Zeitung